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6 Dec, 2024
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Auf Nikolausreise durch Dunkeldeutschland
Leider wurde mit der DDR auch die Formel „Freitag nach eins macht jeder seins, … , freitags ab zehn ist keiner mehr zu sehn“ abgewickelt. Für die Sein-Zeit freitags nach eins/ab zehn musste man damals keinen Urlaub einreichen. Stattdessen trollte man sich leise von dannen und läutete das Wochenende bereits am Mittag mit Bier vom Tank oder dem Junta-Rotwein Fino Vino Tinto aus Argentinien ein. Den gab es in unserem Betriebs-Kellerkiosk am S-Bahnhof Jannowitzbrücke zu kaufen, freitags allerdings nur bis kurz vor 10 Uhr. Danach war im Regal nur noch Bulgarisches Bärenblut zu finden. Und Goldbrand.
Warum ich diesem verflossenen Kulturgut der Zeitfreiheit nachtrauere? Weil es ein Segen für den notorischen Auswärtsfahrer war! Die weitesten Auswärtsfahrten gingen für uns Unioner damals allerdings nach Erfurt, Suhl oder Zwickau, gut dreieinhalb Stunden mit der Deutschen Reichsbahn. Hin und wieder stand ein rotes Transparent am Weg: „Wir Reichsbahner verpflichten uns, zu Ehren des Jahrestages pünktlich den Fahrplan einzuhalten!“ Ja, es gab Zeiten, da konnte man noch hoffen, pünktlich zum Spielbeginn vor Ort zu sein. Und es gab Transparente statt Werbung.
Leider reicht selbst mit sozialistischem Freitag-Freiheitsgefühl die Zeit nicht aus, heute ohne Urlaub eine Stunde vor Anpfiff ins Stuttgarter Stadion zu gelangen. Gut 630 Kilometer per Auto durch die deutsche Pampa. Mit Staugarantie. Oder mit der Bahn. Mit Verspätungsgarantie. Da hofft man nicht mehr, da weiß man, dass die versprochene ICE-Fahrzeit von 5 Stunden und 15 Minuten überschritten wird. Wenn man überhaupt ankommt, im Land der grün-schwarzen Polit-Grantler mit rotem Bauchring. Um das dortige Maskottchen zum Weihnachtsgeschenk zu verarbeiten. Und danach, so kurz vor Mitternacht, raus aus der Stadionkälte und rein ins Auto oder den Zug. Durch Nacht und Wind mit Vater und Kind. Zurück durch das Dunkeldeutschland unbeleuchteter Autobahnen in die strahlende Hauptstadt. Wenn einen Goethes „Erlkönig“ nicht erwischt, am Bergwald bei Weimar.
Wie dunkel Deutschland ist, fällt dir spätestens dann auf, wenn du mal über die beleuchteten Autobahnen Norwegens fährst. Aber halt, Priorität hat in Schland ja der helle Schein des ICE. Besonders in der Nikolausnacht auf dem Standstreifen. Dafür aber mit Oh-W(eh)-lan. Hoffentlich mit genug Glüh-Bier und -Wein im Gepäck, übermüdet, überglücklich und über alle Berge.
Nein, in Stuttgart will man gar nicht bleiben. Oder man blieb dort bei der ersten Spiel-Gelegenheit und dann nie wieder. Stuttgart ist nach der Auffassung meines Osloer Skatbruders Onno eine der langweiligsten Städte Deutschlands. Der Mann muss das wissen. Er ist dort aufgewachsen. Und nach dem Aufwuchs von dort verschwunden. Nach Dresden. Ob das besser ist, weiß ich nicht. Stimmt nicht. Als Unioner weiß ich, dass es das nicht ist. Da er jetzt mit Familie in Oslo wohnt, hat er das irgendwann auch kapiert.
Die meisten Schwaben auf der Suche nach Zivilisation sind seit dem Mauerfall nicht bei den Fußlahmen der Völkerwanderung in Sachsen stehen geblieben, sondern haben es bis nach Berlin geschafft. Wo sie sich in Haufen zusammenfinden, gerne ethnisch saubere Enklaven gründen und freitags nach Fernsehern mit Fußball-Übertragung suchen. Und über jene verstohlen lachen, die sich am Nikolaustag eine Reise in das verrostende Porsche-Mercedes-Land antun. Alles in der Hoffnung auf ein tapferes Torlosspiel. Oder dürfen wir von einem Auswärtssieg träumen; diesen auf der Rückfahrt gar begießen? Hinten Rønnow 0 und vorne Ho-Ho-Hollerbach 1. Ein Nikolausgeschenk aus dem Fußballstiefel.
Eisern!